URIAH HEEP: Interview mit Mick Box

Im Sommer 2001 waren URIAH HEEP erstmals beim BANG YOUR HEAD!!! zu Gast und überraschten all jene Festivalbesucher, die einen bedächtig rockenden Nostalgieact erwartet hatten, mit mitreißender Frische und einer hervorragend durchgemischten Setlist, in der Klassiker und jüngere Kompositionen gleichberechtigt nebeneinanderstanden. Bis heute, und damit fast 20 Jahre später, hat sich an den außerordentlichen Qualitäten der Briten nichts geändert: Noch immer sind Mick Box und Co. ein herausragender Live-Act, der sich nicht nur im beträchtlichen Fundus seines Backkatalogs an Klassikern bedient, sondern im Studio wie auf der Bühne mit neuen Rockjuwelen beweist, dass sie immer noch in Saft und Kraft stehen. Bestes Beispiel: das immer noch aktuelle “Living The Dream“.

Wenige Wochen vor ihrem Auftritt in Balingen interviewte damals Dietmar Pfister die Band und ihr Sprachrohr Mick Box für das HEAVY Nr. 58. Hier eine erweiterte Fassung des Originaltextes:

Comes Like A Tank

Diese Headline las ich damals in den Siebzigern, und ehrlich gesagt beeindruckte mich dieser Satz so sehr, dass ich es nicht erwarten konnte, etwas von URIAH HEEP zu hören. Leider war ich zu dieser Zeit gerade mal zehn Jahre alt, und der Kauf einer LP erforderte damals eine sparerische Höchstleistung, da ich die stolze Summe von fünf D-Mark Taschengeld in der Woche bekam. Um so glücklicher war ich, dass mein Bruder die gerade aktuelle Live Scheibe der Band mitbrachte und ich endlich hören konnte, warum diese Band die Schlagzeile ‚Comes Like A Tank’ verdiente. Mick Box, David Byron (R.I.P.), Gary Thain (R.I.P), Lee Kerslake und Ken Hensley gehörten eindeutig zu den härtesten Bands, die ich bis dahin gehört hatte. Mick Box spielte schon damals Riffs, die einen förmlich aus den Stiefeln pusteten. Einzigartig: der fünfstimmige Gesang und der Hammond-Sound von Ken Hensley.

Doch machen wir einen Zeitsprung. Wir schreiben den 11. Mai 2001, und genau 28 Jahre nach der ersten Begegnung mit dieser Band tönt mir ein „Hallo!“ von Mick Box durch den Telefonhörer entgegen.

„Es ist für mich immer der totale Stress, wenn wir von einer Tour nach Hause kommen“, jammert Mick. „Sechs Wochen Post liegen hier herum und ich muß ganz alleine alles durchackern. Aber egal schieß los, was hast du auf dem Herzen?“

Na, da würde mich doch erst einmal interessieren, was auf der neuesten DVD von Euch zu sehen ist?

„Als erstes ist da natürlich eine komplette Show, die wir auch in Deutschland aufgenommen haben. Zusätzlich gibt es jede Menge Bilder, ein Video von ‚Come Away Melinda, unseren URIAH HEEP Shop und noch so einige Specials mehr.“

Hand aufs Herz: Wenn Ihr eure Live-Videos und Live-Scheiben produziert, werden die Aufnahmen dann nachher im Studio überarbeitet?

„Das kommt ganz darauf an wie Du das meinst. Natürlich wird im Studio der Sound gemischt, aber mit Overdubs arbeiten wir nicht, wenn du darauf anspielst. URIAH HEEP gehören zu den Bands, die ihre Instrumente noch tatsächlich beherrschen, da sind Tricks nicht nötig“, lacht Mick. „Eine Live-Scheibe sollte immer eine Live-Scheibe bleiben, sonst kannst Du ja gleich eine Studioaufnahme hernehmen und Publikum auf die Bänder mischen. Wir sind eine gute, alte und vor allem ehrliche Rockband. Wir machen solche Dinge nicht.“

Hört man sich URIAH HEEP 2001 an, fällt einem auf, dass zwar von der Originalbesetzung nicht mehr viel übrig ist, der Sound aber immer noch unverkennbar geblieben ist.

„Ja, das stimmt, obwohl wir uns mit der Zeit schon auch ein bisschen gewandelt haben. Die Grundzüge sind aber geblieben.“

Woher kommt das? Ich kann mich gut erinnern, dass Ken Hensley, David Byron und Gary Thain damals auch am Songwriting beteiligt waren.

„Ja, klar, aber auch ich war immer schon Songwriter und ich bin nach wie vor in der Band hahaha. Nein, nein Spaß beiseite: Bernie Shaw ist jetzt schon rund 15 Jahre der Sänger von URIAH HEEP, und seine Art zu singen ähnelt der David Byrons sehr. Auch die Tatsache, dass er schon so lange zu uns gehört, macht klar, wie gut wir harmonieren. Die aktuelle Besetzung existiert schon sehr lange. Am Anfang mussten sich die einzelnen Musiker den Stil und die Songs von URIAH HEEP zuerst einmal erarbeiten, und in dieser Phase kopierten sie so gesehen die Original-Musiker. Sie wussten nachher aber auch ganz genau, was wir früher als wichtige Eckpfeiler in die Songs packten. Da wäre der mehrstimmige Gesang, die nicht unbedingt rocktypischen Bassläufe, die Hammond Orgel und natürlich mein Wha-Wha-Pedal. Und Lee Kerslake braucht sich nicht anzuhören, was er früher gespielt hat, das weiß er noch“, witzelt Mick. “Ich kann Dir auch ganz ehrlich sagen, dass ich diesbezüglich noch nie Kritik eingesteckt habe. Die Fans sind zufrieden mit dem Sound von URIAH HEEP 2001, und ich denke, wir sind nicht schlechter als 1973!“

Dennoch glaube ich nicht, dass man lernen kann, wie jemand anderes Songs zu schreiben...

„Ganz klar, aber man kann sich einen gewissen Stil angewöhnen. Zudem bin ich URIAH HEEP. Ich habe die Band damals gegründet und meine Vorstellungen, wie die Band klingen sollte, wurden ganz klar schon beim Aufbau der Band umgesetzt. Nun, ich bin immer noch da, und meine Ideen sind fast in jedem Song. Das dürfte wohl erklären, warum wir bis heute auch nach URIAH HEEP klingen.“

URIAH HEEP gehören zu den wenigen Bands, die es geschafft haben, Songs wie zum Beispiel ‚July Morning’, ‚Easy Livin´’, ‚Gypsy’, ‚Stealin`’ ‚Sunrise’ oder ‚Lady In Black’ zu schreiben, die auf der ganzen Welt zu Hits wurden und heute immer noch von jungen und älteren Leuten gehört werden.

„Ja, wir gehören zu den Bands, die von sich behaupten können, Songs zu haben, die mehr als zwanzig Jahre überdauert haben und immer noch populär sind. Das macht mich wirklich stolz!“

Warum, denkst Du, schaffen das heute nur noch wenige Bands?

„Das weiß ich nicht. Ich weiß nur, dass ein guter Song die Zeit immer übersteht. Vielleicht waren wir damals zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Aber ich denke, ‚July Morning’ ist beispielsweise einfach ein guter Song, und so etwas gelingt einem wirklich nicht jeden Tag. Ich bin einfach stolz auf meine Vergangenheit und auch auf die heutigen URIAH HEEP. Wir haben uns nie großartig verändert, und wir sind bis heute eine hart arbeitende Rockband geblieben. Die Geschichte der Band ging kontinuierlich fort, und von der Gründung bis zum heutigen Tag mussten wir uns für nichts schämen. Ich habe auch noch nie behauptet, ich würde einige Songs nie wieder spielen. So gehen Gestern und Heute Hand in Hand, und wir können unser Set für die Gigs aus vielen guten Songs zusammenstellen. Mal überwiegen die älteren, mal die neueren. Wir kümmern uns nicht sonderlich darum, das gezielt abzuwägen, denn die Leute mögen URIAH HEEP, und das ist uns das Wichtigste.“

Woher nimmst du den Elan, immer weiter zu machen?

„Das Publikum ist unser Benzin. Wenn wir auf Tour sind und spüren, dass den Leuten unsere Musik gefällt, ist das wie eine Frischzellenkur. Vor allem, wie schon vorher erwähnt, ist es nicht so, dass die Leute nur die alten Songs hören wollen. Wir haben Die-Hard-Fans, und wir haben auch jüngere Fans im Publikum, die zum Beispiel erst durch eine Scheibe wie ‚Sonic Origami’ zu der Musik von URIAH HEEP gestoßen sind. Die kannten Songs wie ‚July Morning’ noch gar nicht, und erst durch ein Konzert von uns lernen sie so einen Song kennen. So verkaufen wir bis heute auch noch Alben wie ‚The Magicians Birthday’, ‚Look At Yourself’ oder ‚Demons And Wizards’.“

Ist es nicht schwierig für Euch, Songs für ein Konzert auszuwählen?

„Na, es ist immer ein bisschen ein Problem, aber bei jedem von uns wechseln die Vorlieben hinsichtlich bestimmter Songs für die Setlist. Zudem schauen wir schon darauf, dass wir eine Menge unserer populärsten Stückeim Set unterbringen. Aber wir sind schon so lange on the road, da würde es wirklich langweilig werden, wenn wir Abend für Abend das gleiche Set abspulen. Außerdem müssen wir an die vielen Fans denken, die öfters zu einer Show kommen. Denen wollen wir natürlich auch etwas Abwechslung bieten. Schließlich soll es für niemanden langweilig werden.“

Gibt es Songs, die ihr spielen müsst, weil sonst die Fans enttäuscht nach Hause gehen könnten?

„Da darf man nicht darüber nachdenken. Wir müssten sonst jeden Abend fünf Stunden lang spielen. Da wir das nicht können, erübrigt sich die Frage. Es gab eine Periode von ganzen drei Jahren, wo wir grundsätzlich ‚July Morning’ im Set hatten. Dann tauschten wir den Song gegen ‚Circle Of Hands’ aus. Wir können nicht jeden Abend das Live-Album von 1973 spielen. URIAH HEEP leben nicht nur in der Vergangenheit. Wir haben in den letzten Jahren so tolle Songs geschrieben, da wäre es wirklich schade, nur die alten Gassenhauer zu spielen.“

URIAH HEEP ist eine der wenigen Bands aus der alten Zeit, die auch heute noch einen guten Ruf bei den Fans hat.

„Ich denke, die Leute merken, dass wir es ehrlich meinen. Wir sind keine dieser Bands, die sich kurz reformieren, um noch einmal Kohle zu verdienen. URIAH HEEP haben über all die Jahre Scheiben veröffentlicht, die bei den Leuten und auch bei der Presse wohlwollend aufgenommen worden sind. Wir waren immer da, und ich glaube die Leute haben immer gemerkt, dass in uns das gleiche Herz wie in der Anfangszeit der Band schlägt. Deswegen gibt es uns, und deswegen wird es uns noch lange geben!“

Keine Ermüdungserscheinungen?

„Nein, nicht im Geringsten“, winkt Mick ab. „Auf der Bühne zu stehen ist mein Leben. Ich habe es ganz ehrlich noch nie bereut. Wenn ich auf Tour bin und wir die Bühne entern, dann lebe ich, und deswegen ist die Band auch so gut. Wir planen nichts. Es wird nichts einstudiert. Auf der Bühne spielen wir so, wie wir fühlen, und das macht URIAH HEEP aus.“

Es ist bestimmt eine Frage, die Du nicht gerne beantwortest, aber ich stelle sie Dir trotzdem. Welches war für Dich das wichtigste Album deiner Kariere?

„Das ist wirklich nicht einfach zu beantworten, da jedes Album etwas Besonderes hat. Aber ich denke, "Demons And Wizards" war das wichtigste Album, da es uns weltweiten Erfolg gebracht hat. Trotzdem gab es davor und danach wichtige Momente. Aber diese Momente jeder Scheibe zuzuordnen, da müssten wir wohl noch ein paar Tage zusammensitzen.“

Hat sich das Business in deinen Augen sehr verändert?

„Aus der technischen Sicht hat sich sehr stark verändert. Es ist heute sehr viel leichter geworden, die Songs mit einem guten Sound aufzunehmen. Das Business an sich hat diese McDonalds Mentalität bekommen: Schnelles Geld zählt und sonst nichts. Wenn ich da an unsere Anfänge zurückdenke, hatten wir eine echte Chance zu wachsen. "Sailsbury’"klingt doch ganz anders als "Look At Yourself". Wir durften experimentieren, und unsere damalige Plattenfirma ist mit uns gewachsen. Das gibt es heute wohl kaum noch. Entweder es läuft, oder du bist raus aus dem Spiel.“

Sucht man im Internet nach dem Begriff URIAH HEEP, wird man von der Vielfalt des Angebots erschlagen.

„Hahaha, das stimmt. Das kommt einfach daher, dass URIAH HEEP auf der ganzen Welt unterwegs sind. Durch die ständigen Tourneen haben wir uns eine sehr starke Fanbasis geschaffen, und das schlägt sich natürlich auch im Internet nieder. Ich finde es gut, denn so viele Leute mailen sich Dinge über uns. Entfernung spielt keine Rolle, und manchmal erfahre ich selbst Dinge über die Band, die ich bis dahin nicht wusste, hahaha.“

Hast Du denn Zeit, Fanpost zu beantworten?

„Ich versuche alles zu beantworten, und soweit es mich betrifft, kann ich ehrlich sagen: Es bleibt nichts unbeantwortet. Ich finde es echt toll, dass wir mit dem Internet die Chance haben, mit unseren Fans zu kommunizieren. Nach der Show ist es nicht immer möglich, mit den Fans zu reden, aber hier haben wir die Möglichkeit uns auszutauschen. Zusätzlich bieten wir den Fans auf unserer Homepage die Möglichkeit einzukaufen: Vom T-Shirt bis zu unseren Outputs gibt es da alles. Auch kann man sich über Tourpläne und die letzten News informieren. Um es kurz zu machen: Ich finde, das Internet ist eine großartige Sache, wenn man damit verantwortungsbewusst umgeht.“

Momentan habt Ihr in Deutschland keine Plattenfirma, richtig?

„Das stimmt. Wir sind am überlegen, wie wir das in Zukunft handhaben werden, denn wir suchen nach einem Weg, wie wir alles besser kontrollieren können. Es ist nämlich frustrierend, wenn du wirklich gute Alben auf den Markt bringst, die Reviews in den Magazinen mehr als gut ausfallen und die Fans dir live bestätigen, wie toll deine neuen Songs sind, und trotzdem nichts verkauft wird. Da würde mich dann schon interessieren, was da schief gelaufen ist. Kannst Du Dir vorstellen, wie ärgerlich es ist, wenn Du die beste Scheibe, die Du je gemacht hast, in den Händen hältst und Deine Company keinen Pfennig für die Werbung dieser Scheibe ausgeben will? Ich möchte da einfach mehr Einfluss haben, und wir suchen da nach neuen Wegen. So lange wir diese nicht gefunden haben, bieten wir unsere Sachen eben über unsere Homepage an, da weiß ich wenigstens, was passiert.“

Wann können wir mit einem neuen Album der Band rechnen?

„Sollten wir unsere Pläne mit einer Plattenfirma verwirklichen können, wird es bestimmt im nächsten Jahr eine neue Studio-Scheibe geben. Bis dahin gibt es aber eine Menge Möglichkeiten URIAH HEEP, auf der Bühne zu sehen, denn wie Du sicher bemerkt hast, sind wir eigentlich immer unterwegs.“

Da darf man gespannt sein, ob wir nach dem Gig auf dem BANG YOUR HEAD!!! in den Reviews die alte Headline wieder aufleben lassen können: „The sound comes at you like a Panzer doing 80!“.

Autor: 

Dietmar Pfister

Aus Heavy-Ausgabe: 

58

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